Die Mattiakischen Kugeln

Viele, die zum ersten Mal die römischen Kugeln mit zwölf Seiten sehen, fühlen sich an riesengroße Sporen oder Pollen erinnert. Niemand kann sagen, wer sie erschaffen hat noch warum oder wie die Römer sie nannten: vielleicht Corpus Sacrum. Vielleicht anders. Wir bezeichnen sie als römische Dodekaeder, aber das ist ein moderner Begriff und unhandlich obendrein. Wir können nur vermuten, dass die Menschen der Antike sie als eine Art Sphären oder Kugeln oder Bälle betrachteten, denn das war jeder regelmäßige Körper in ihren Augen.
Fast alle bestehen aus Messing, aber einer aus Silber. Alle haben zwölf Seiten, mathematisch ausgedrückt sind sie Pentagondodekaheder. Aber einer hat zwanzig Seiten. In jede Seite wurde ein Loch gebohrt, jedes von unterschiedlicher Größe. Aber immer liegen die zwei weitesten Löcher einander gegenüber. Sie können von Rillen umgeben sein oder völlig undekoriert. Ein Kügelchen an einem kurzen Stiel ragt aus jeder Ecke hervor. Aber manchmal sind da drei Kügelchen. Keine zwei Dodekaheder sind gleich, jeder ist in seiner Größe, Gestaltung und Anordnung der Löcher einzigartig. Manche sind so groß wie ein Fingernagel, andere sind doppelt so groß.
Hundert sind bekannt, sehr wahrscheinlich werden bald weitere dazukommen. Viele wurden in Frankreich, Belgien, England und Deutschland entdeckt. Zwei in Ungarn, einer in Kroatien. Kein einziger in Italien. Auch nicht in Afrika oder Asien oder Griechenland oder Iberien. Sie treten gehäuft in Südengland auf - und am Mittellauf des Rheins, wo die Autoren dieser Bücher leben. Mainz hat zwei, Wiesbaden einen, die Saalburg einen. In Schwarzenacker an der Mosel wurden zwei auf angrenzenden Grundstücken gefunden.
Es gibt ebenso viele Vermutungen über ihren Zweck, wie es Dodekaeder gibt. Keine ist schlüssig. Waren sie Kerzenhalter? Messinstrumente? Spielwürfel? Kultgegenstände? Keinem einzigen lag eine Gebrauchsanweisung bei. Aber manche wurden in Münzschätzen gefunden, also hatten ihre Besitzer sie als wertvolle Objekte betrachtet. Leider haben die antiken Autoren sie nicht erwähnt oder beschrieben. Oder doch?
Da ist eine absonderliche Textstelle von einem Mann aus dem zweiten Jahrhundert, Marcus Valerius Martialis. In einem seiner berüchtigt satirischen Aphorismen erwähnte er merkwürdige Gegenstände, die er Pilae Mattiacae nennt - Mattiakische Kugeln:

Sapo.
Si mutare Absätze longaevos cana capillos,
Accipe Mattiacas - quo tibi calva? - pilas.

Seife.
Hast du vor, die hochbetagten Haare zu verändern,
nimm Mattiakische - was soll dir der Kahlkopf? - Kugeln!


Niemand hat eine Pila Mattiaca ausgegraben oder ihre Abbildung entdeckt. Niemand weiß, wie sie aussah, wie sie gemacht wurde, wo sie verkauft wurde. Der einzige Hinweis, den wir haben, ist ihr Name. Die Mattiaker waren jenes Volk, das in der Römerzeit am Mittelrhein lebte, genau dort, wo so viele Sphären mit zwölf Seiten gefunden wurden. Erfanden die Mattiaker also die Pila Mattiaca? Und ebenso die Dodekaeder?
Was wäre, wenn - nur einmal angenommen - die Pilae Mattiacae und die Dodekaeder ein und dasselbe wären? Und einmal mögen sie die Aufmerksamkeit eines Sterndeuters angezogen haben, der begriff, wie er sie benutzen konnte. Und er machte aus ihnen Instrumente seiner Macht.
Die Geschichte der unergründlichen Kugeln mit zwölf Seiten wird in den drei Bänden der Trilogie Corpus Sacrum erzählt. 

Dodekader aus der Saalburg -

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